🫁 Pneumokokken‑Impfung bei Erwachsenen – neue Daten werfen Fragen auf

Veröffentlicht: Oktober 2025

Quelle: Torras‑Vives V et al. BMC Infectious Diseases 2025; 25:1369. DOI: 10.1186/s12879‑025‑11596‑w

🔍 Worum geht es?

Pneumokokken sind Bakterien, die schwere Lungenentzündungen, Blutvergiftungen (Sepsis) und Hirnhautentzündungen (Meningitis) verursachen können.

Seit Jahrzehnten wird Erwachsenen – insbesondere über 65 und Menschen mit chronischen Erkrankungen – eine Pneumokokken‑Impfung empfohlen.

Dabei werden zwei Impfstoffe eingesetzt:

  • PPsV23 (23‑valenter Polysaccharid‑Impfstoff, empfohlen seit den 1990ern)
  • PCV13 (13‑valenter Konjugat‑Impfstoff, eingeführt ab 2011)

Beide sollen vor einer Lungenentzündung schützen – doch wie gut wirkt das tatsächlich?

🧬 Was zeigte die aktuelle Studie?

Ein Team aus Katalonien (Spanien) analysierte Gesundheitsdaten von 2 234 003 Menschen ≥ 50 Jahre über den Zeitraum 2019.

Fast 800 000 waren mit PPsV23 und knapp 23 000 mit PCV13 geimpft.

Ausgewertet wurden Krankenhausaufenthalte wegen Pneumonie.

📊 Ergebnisse in Zahlen

Erkrankung / Outcome PPsV23‑Geimpfte PCV13‑Geimpfte Kommentar
Hospitalisierte Pneumokokken‑Lungenentzündung 198,9 Fälle pro 100 000 Personen‑Jahre 468,2 Fälle pro 100 000 Personen‑Jahre Nur ICD‑Code J13 (bestätigte Pneumokokken)
Hospitalisierte Lungenentzündung (alle Ursachen) 1 161 Fälle pro 100 000 Personen‑Jahre 2 307 Fälle pro 100 000 Personen‑Jahre ICD J12–J18
Todesfälle während Klinikaufenthalt (alle Pneumonien) 9,7 % Sterblichkeit 10,7 % Sterblichkeit Kein Überlebensvorteil
Relatives Risiko nach statistischer Anpassung HR 1.24 (95 % CI 1.18–1.31) HR 1.55 (95 % CI 1.42–1.70) Werte > 1 = höheres Risiko im Vergleich zu Ungeimpften
Risiko zu sterben (alle Pneumonien) HR ≈ 1.01 (keine Änderung) HR 1.91 (1.45–2.52) Nur schwach signifikant bzw. unsicher interpretiert

Hinweis: Die Originalpublikation nennt keine exakten Inzidenzen für ungeimpfte Personen, da dort die Werte als Referenz (= 1,0 in der Hazard‑Ratio) genutzt wurden.

💬 Einordnung der Zahlen

Was bedeuten 1 161 oder 2 307 Fälle pro 100 000 Personen‑Jahre?

Das heißt: Wenn 100 000 Menschen ein Jahr lang beobachtet werden, landen etwa 1 000 bis 2 000 von ihnen wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus – trotz Impfung.

Zum Vergleich: In einer durchschnittlichen Hausarztpraxis mit 1 000 Patienten würde das statistisch einem bis zwei Krankenhausfällen pro Jahr entsprechen. Die Zahlen sind also individuell klein, aber bevölkerungsweit relevant.


Was ist HR = Hazard Ratio (Hazard-Verhältnis oder Gefahrenverhältnis)?

Die HR misst das relative Risiko, dass ein bestimmtes Ereignis (z. B. Tod, Hospitalisierung oder eine Erkrankung) in einer Gruppe (hier: Geimpfte) im Vergleich zu einer Referenzgruppe (hier: Ungeimpfte) auftritt. Sie wird oft in Studien verwendet, die Zeit bis zu einem Ereignis beobachten (z. B. wie lange es dauert, bis jemand stirbt oder ins Krankenhaus kommt).


Wie interpretiert man die Werte?

  • HR = 1: Kein Unterschied zwischen den Gruppen – das Risiko ist gleich (z. B. HR ≈ 1,01 in Tabelle für PPSV23 und Risiko zu sterben).
  • HR > 1: Höheres Risiko in der verglichenen Gruppe (z. B. HR 1,24 für PPSV23-Geimpfte bei hospitalisierter Pneumokokken-Lungenentzündung – das bedeutet ein 24 % höheres Risiko im Vergleich zu Ungeimpften).
  • HR < 1: Niedrigeres Risiko in der verglichenen Gruppe (nicht in Tabelle vorhanden, aber z. B. HR 0,8 würde 20 % weniger Risiko bedeuten).

🧠 Warum zeigte sich kein Schutz?

Die Autorengruppe nennt mehrere plausible Ursachen:

  1. Ältere und Kranke werden häufiger geimpft („Confounding by indication“).
  2. Serotyp‑Verlagerung: Neue, nicht abgedeckte Pneumokokken‑Stämme füllen die Lücke, welche die Impfung geschaffen hat.
  3. Kurzlebige Immunität: Vor allem beim Polysaccharid‑Impfstoff lässt die Antikörperantwort nach wenigen Jahren wieder nach.

🩺 Was bedeutet das für die Praxis?

  • Der Nutzen für sonst gesunde Erwachsene erscheint geringer als angenommen.
  • Kinderimpfungen schaffen bereits Herdenschutz und senken auch bei Erwachsenen viele Fälle.
  • Für einige Hochrisikogruppen (z. B. Immundefekte, Splenektomie, schwere Lungenerkrankungen) bleibt die Impfung begründet.
  • Neue Impfstoffe (PCV15, PCV20, PCV21) werden derzeit eingeführt. Ob sie das Problem lösen, ist offen.

💡 Was wir unseren Patientinnen und Patienten raten

  1. Persönliche Beratung statt Standard‑Schema.
    Nutzen und Risiko hängen stark von Gesundheitszustand und Alter ab.
  2. Basismaßnahmen nicht vergessen: Bewegung, frische Luft, Rauchverzicht, gute Mundhygiene und Ernährung senken das Pneumonierisiko mehr, als viele glauben.
  3. Grippeschutzimpfung bleibt wichtig – weil Virusinfektionen den Weg für bakterielle Lungenentzündungen ebnen.

🧾 Fazit

Die katalanische Bevölkerungsstudie (Torras‑Vives V et al., BMC Infect Dis 2025; 25:1369) fand keine messbare Schutzwirkung der bisherigen Pneumokokken‑Impfstoffe (PCV13, PPsV23) gegen Lungenentzündung oder Tod bei Erwachsenen.

Das bedeutet: Nicht gefährlich, aber wohl wenig nützlich für die Allgemeinbevölkerung.

Für Patientinnen und Patienten gilt: gut informieren, gemeinsam entscheiden.